PICK-UP  PANTHEON    (1996)





Verwendetet Materialien: Beton, Dispersionsfarbe, Metalle

Die Tempelfront des "Pick-Up Pantheon" von Georg Wittwer steht auf vier etwas linkischen Betonguß-Säulen, die sich gewiß keiner der klassischen Säulenordnungen zuordnen lassen. Ihre Kapitelle und Basen haben die Form eines Guglhupf, die Schäfte sind einem Abwasserrohr abgeformt. Das Gebälk, eine einfache Platte, trägt seltsame, ganz und gar unklassische Vögel, die so angeordnet sind, daß sie annähernd einen Spitzgiebel bilden. Die Säulen entsprechen keiner klassischen Proportion, sie wirken zwergenhaft. Überhaupt fragt man sich zuerst, wieso in dieser Arbeit ein so gewichtig scheinendes Architekturzitat aufgestellt wird. Hätte nicht ein einfacher, breiter Sockel gereicht, um die Skulpturen in angemessener Höhe zu präsentieren? Es scheint schwer aus dem Werkstoff Gegenstände zu machen, die sich zur Höhe einer symbolischen Form aufschwingen können. Sofort gelingt es einem, zwei Arten skulpturaler Form zu unterscheiden. Die Vögel, die sich oben zusammendrängeln, bestehen jeweils aus einem durchgefärbten Betonkörper, dessen Gußform aus einer Plastikflasche bestand, und aus Kopf und Gliedmaßen zusammengeschweißten Schrotteilen. Die Säulen dagegen wirken einfacher, gröber, nur schwach differenziert. Ihnen ist offenbar eine eher dienende Funktion zugedacht; es wird klar, daß sie ihre Entstehung dem gleichen Abgußverfahren verdanken wie die Vogelskulpturen, die von ihnen getragen werden. Pril, Lenor, Ajax, Der General, Spüli, Palmolive, Sunlicht, Domestos.... Kleine heidnische Gottheiten: Eine Auswahl aus dem Produkt-Pantheon seit der deutschen Nachkriegszeit, das stetig auf seinen heutigen, nahezu unüberschaubaren Umfang angewachsen ist. Es sind jedenfalls Namen, mit denen die meisten von uns etwas anzufangen wissen; die darüberstehende Gruppe -"Putz- und Waschmittel"- wird ebenfalls fast jeder erkennen können. Beim Einkaufen greifen wir nach den bunten Kunststoff-Flaschen, die diese Namen tragen. An bestimmte, charakteristische Formen erinnern wir uns eine Zeitlang, vielleicht sogar das ganze Leben. Wenn es unserem Blick einmal gelingt, sich Dinge so anzuschauen, wie sie sich abseits jeder zweckbestimmten Handlung darbieten, kommen wir nicht umhin, uns über die Schmeichelei einer wohlig sich der Hand anpassenden Putzmittelflasche zu wundern. Designer arbeiten mit viel Aufwand daran, das Wirken dieser Individualisierung der Formen voranzutreiben. Manche dieser Alltagsformen, die griffigen, geschwungenen, weichen, tragen noch die Zeichen eines pathetisch-modernistischen Optimismus der "Guten Form" an sich, der dazu führt - vielleicht nur für den Weg vom Supermarkt nach Hause - einen Handgriff ergonomisch zu formen. Andere scheinen kaum auf etwas anderes zu reagieren als auf die Formen der Nachbarflaschen im Regal, von denen sie sich unterscheiden sollen. Damit es unser Gedächtnis leichter hat, diese Flasche von jener zu unterscheiden, mit Sicherheit wieder zuzugreifen... Ein allgemeinerer Zug solcher Produktgestaltung ist ihr Hang zur Nachahmung "natürlicher" Formprinzipien, zum Vermitteln haptischer Reize, zur gebremsten Verselbständigung fließender Formen. Georg Wittwer treibt dies - nur halb ironisch - auf die Spitze, indem er aus den Plastikflaschen Vogelkörper, aus einer Kuchenform ein Kapitell macht. - Der andere Wesenszug ist das Serienhafte der Gußformen, die er durch seine kommentierenden Hinzufügungen aus Schrottteilen geschickt und überraschend in Ausdruckshafte und geradezu schlagend "Individuelle" zu wenden weiß. So kann Georg Wittwers Arbeit als Konsequenz einer allgemeineren Faszination für Formen verstanden werden, die zunächst nicht zwischen "Natur" und "Technik" unterscheidet. Hier jedenfalls dürfen wir ein Tribut an die im Stillen arbeitenden Gestalter erblicken, deren Werke täglich von Hand zu Hand gehen. Wittwer greift mit sicherer Intuition Formen alltäglicher Konsum-Skulptur auf: ihn interessieren Formen, die anderen nicht mehr auffallen. Dabei weiß er, daß die weggeworfenen Flasche, die er wieder einsammelt, daß das merkwürdig geformte Alteisen, all der andere Schrott, um den er sich kümmert und den er wie einen Formenschatz hortet, solange nicht "tot" ist, wie diese Dinge wahrgenommen und neu verstanden werden. Die anfangs befremdlich wirkende Architekturform des Miniaturtempels wird als "Würdeformel" verständlich.

Clemens Krümmel